Volksabstimmung «bezahlbare KiTas für alle» und Gegenvorschlag
Ende Monat stimmt der Kanton Luzern über die Volksinitiative «bezahlbare KiTas für alle» sowie den Gegenvorschlag «Kinderbetreuungsgesetz KiBeG» ab. Auf den ersten Blick scheint es um bessere Unterstützung für Familien zu gehen – bei genauerem Hinsehen steht jedoch vor allem der finanzielle Nutzen im Vordergrund.
Die Erläuterungen der Abstimmungsbroschüre betonen vor allem wirtschaftliche Aspekte: Die Initiative soll den Fachkräftemangel dämpfen, zu höheren Steuereinnahmen führen, Sozialausgaben senken und den
Wirtschaftsstandort stärken. Zwar wird eine Qualitätssteigerung in Aussicht gestellt, diese beschränkt sich jedoch weitgehend auf die Anzahl Betreuungspersonen.
Unbestritten ist, dass der Betreuungsschlüssel in vielen KiTas aktuell unzureichend ist. Gleichzeitig würde eine breit vergünstigte ausserfamiliäre Betreuung zu einer noch höheren Nachfrage führen – und damit zu einem zusätzlichen Druck auf einen bereits heute überlasteten Arbeitsmarkt. Weder die Finanzierung noch die Qualität der Betreuung sind damit langfristig gesichert.
Die Abstimmungsbroschüre verweist auf den steigenden Bedarf an familienergänzender Betreuung. Hier lohnt sich ein genauerer Blick auf die Ursachen: Viele Frauen können nach der Geburt nur dann an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, wenn sie mindestens 60 % arbeiten. Andere Frauen möchten Lücken in der Altersvorsorge vermeiden. Und nicht zuletzt ist der gesellschaftliche Druck gewachsen, als Mutter berufstätig zu sein – selbst wenn der Wunsch nach mehr Zeit mit den eigenen Kindern vorhanden wäre. Gründe wie diese beeinflussen die Nachfrage nach Betreuungsplätzen weit stärker als eine grundsätzlich veränderte Haltung zum Familienleben.
Im Abschnitt «Für eilige Leserinnen und Leser» wird in der Abstimmungsbroschüre ausserdem behauptet, die frühe Förderung in KiTas unterstütze die schulische Integration, verbessere Lernleistungen und senke den Bedarf an Fördermassnahmen. Diese Aussage ist in dieser Form wissenschaftlich nicht haltbar.
Aus der Bindungsforschung wissen wir: Eine sichere Bindung ist der stärkste Schutzfaktor für eine gesunde soziale, emotionale und kognitive Entwicklung. In den ersten Lebensjahren brauchen Kinder vor allem eine konstante Bezugsperson, die ihre Signale wahrnimmt und feinfühlig darauf reagiert. Genau diese Feinfühligkeit lässt sich in institutionellen Settings – trotz grossem Engagement der Fachpersonen – nur begrenzt gewährleisten, insbesondere bei ungünstigen Betreuungsschlüsseln.
Viele Eltern gehen davon aus, dass KiTas schon früh sozialeK ompetenzen fördern. Tatsächlich beginnen Kinder jedoch erst ab etwa drei Jahren, aktiv miteinander zu spielen. Davor profitieren sie vor allem von verlässlicher 1:1-Betreuung und stabilen Beziehungserfahrungen – Bedingungen, die im familiären Umfeld am zuverlässigsten gegeben sind.
Erwähnenswert ist, dass selbst die SVP – obwohl sie primär aus finanziellen Gründen gegen das KiBeG argumentiert – zutreffend darauf hinweist, dass sowohl Initiative als auch Gegenvorschlag die Fremdbetreuung klar gegenüber der Eigenbetreuung bevorzugen.
Aufgrund meiner fachlichen Expertise bin ich überzeugt, dass weder die Initiative noch der Gegenvorschlag dem Wohl der Kinder oder der Familiengesundheit gerecht werden. Wenn wir möchten, dass Kinder gesund aufwachsen und Eltern echte Wahlfreiheit haben, brauchen wir andere Lösungen:
▶️ eine klare gesellschaftliche Anerkennung der Betreuung eigener Kinder,
▶️ Modelle, die Müttern mit tiefen oder reduzierten Pensen sozialversicherungsrechtlich nicht schaden,
▶️ Betriebe, die flexible, familienfreundliche Anstellungen ermöglichen oder betriebliche Betreuungs-angebote mitfinanzieren,
▶️ und qualitativ hochwertige ausserfamiliäre Betreuungsangebote für jene Familien, die darauf angewiesen sind – jedoch ohne falsche Versprechen und ohne die frühe Entwicklung von Kindern zu übergehen.
Ich selbst habe während der Kleinkindjahre meiner vier Söhne ebenfalls gearbeitet – jedoch bewusst in einem sehr kleinen Pensum (20%). Für mich war es ein grosses Privileg, dass meine Kinder während meiner Arbeitszeit von den Grosseltern liebevoll betreut wurden. Diese Möglichkeit haben längst nicht alle Familien. Viele Väter reduzieren heute ihr Pensum, um Zeit mit ihren Kindern zu verbringen – doch auch das ist finanziell oder betrieblich nicht überall realisierbar.
Gerade Familien im Niedriglohnbereich brauchen bezahlbare Betreuungsangebote. Ebenso wichtig ist eine deutliche Qualitätsverbesserung in bestehenden KiTas.
Doch die vorliegenden Vorlagen bieten weder finanzielle Nachhaltigkeit noch eine kinder- und bindungsorientierte Perspektive.
Damit wir Familien wirklich stärken und Kindern jene Bedingungen geben, die sie für einen gesunden Start ins Leben brauchen, braucht es differenzierte Lösungen statt schneller Versprechen – und deshalb am 30.
November ein klares Nein zu beiden Vorlagen.