Wie wird Verhaltensänderung möglich?
Hast du dir schon einmal überlegt, warum sich das Verhalten deiner "auffälligen" Schüler:innen einfach nicht ändert, obwohl du sie schon etliche Mal ermahnt hast?
Es ist total zermürbend, wenn man auf die verschiedensten Arten und Weisen einem Kind beizubringen versucht, sich angemessen zu verhalten, und es einfach keine Verbesserung gibt.
Möchtest du wissen, woran das liegt?
Das Verhalten eines Kindes ist geprägt durch seine Erfahrungen, die es in seinen frühen ersten Lebensjahren gemacht hat. Der Umgang mit Mitmenschen, das Verhalten in der Gruppe usw., all das lernen Kinder bereits in ihren ersten Lebensjahren im Zusammensein mit ihren Bezugspersonen.
Aus der Bindungsforschung ist bekannt, dass Kinder, die in ihren ersten drei Lebensjahren keine oder nur unzureichend sichere Bindungserfahrungen machen können, ein unsicheres Bindungsmuster entwickeln.
Unser Gehirn ist enorm plastisch und dafür ausgelegt, sich der Umgebung und den Umständen anzupassen, um unser Überleben zu sichern. So geschieht es, dass sich ein Kind ein Verhalten aneignet, welches ihm das Überleben in seiner Umgebung (in seiner Familie) ermöglicht. Es entwickelt also ganz bestimmte Verhaltensstrategien, die zum Verhalten seiner Bezugspersonen (in erster Linie die Eltern) passen.
Sind die Bezugspersonen kein zuverlässiger sicherer Hafen für das Kind, wird es vernachlässigt, oder bekommt es einfach zu wenig Zuwendung und Resonanz, entwickelt das Kind ein sogenanntes inneres Arbeitsmodell, ein inneres Bild, das ihm sagt, dass es von seinen Mitmenschen kaum oder keine Unterstützung, Hilfe oder Zuwendung erwarten kann. Gleichzeitig entwickelt es auch ein entsprechendes Selbstbild: es fühlt sich unwichtig (zu wenig wichtig, um Resonanz zu bekommen), ungeliebt (denn sonst würde man sich ihm doch zuwenden) und unfähig (weil es selbst nichts dagagen machen kann).
Zum Beispiel:
Ein Kind, das zu wenig Aufmerksamkeit bekommt, entwickelt Strategien, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. *
Das kann auf ganz unterschiedliche Weise passieren. Das Kind macht zum Beispiel viel Blödsinn, oder es baut ständig Unfälle und verletzt sich. Oder es ist immer wieder krank usw.
Das Kind kommt irgendwann in den Kindergarten und zur Schule. Bis dahin hat sich sein Verhalten längst etabliert, und deshalb verhält sich das Kind auch in der Schule so, wie es sich dies bereits in seinen ersten Lebensjahren angeeignet hat. Dabei bringt es auch sein inneres Arbeitsmodell mit, also seine Erwartungen an seine Klassenkameraden und Lehrpersonen.
Hat es durch sein auffälliges Verhalten zuhause Aufmerksamkeit bekommen - wenn auch negative Aufmerksamkeit im Sinne von Schelte oder Strafen - so wird es auch in der Schule nichts anderes erwarten als negative Aufmerksamkeit und Schelte oder Strafen. Es kennt gar nichts anderes.
Das genetisch tief verankerte Bedürfnis, das Trauma der Kindheit in einen positiven Ausgang zu transformieren, könnte sich ausdrücken, indem sich betroffene Menschen wieder in vergleichbare Situationen begeben, in der (wahrscheinlich unbewussten) Hoffnung, das alte Trauma durch einen positiven Ausgang aufzulösen. Freud, 1920
Vor diesem Hintergrund wird klar, warum sich das Verhalten des Kindes auch nicht ändert, wenn es in der Schule zurechtgewiesen oder gar bestraft wird: Das ist für das Kind ganz normal! So hat es das schon sein ganzes Leben lang erlebt und es weiss auch gar nicht, wie es sich anders verhalten könnte! Statt sein Verhalten verändern zu können, wird ihm nur sein inneres Arbeitsmodell bestätigt und das auffällige oder störende Verhalten wird dadurch verstärkt.
Kinder mit unzureichend sicheren Bindungserfahrungen haben ein grosses Deffizit in ihrer sozialen, emotionalen und kognitiven Entwicklung. Dank der Plastizität unseres Gehirns können sich neue und sichere Bindungserfahrungen positiv auf die Entwicklung auswirken. genau deshalb ist Bindungskompetenz an Schulen derart wichtig. Weil alle Kinder zur Schule gehen, und mit bindungskompetenten pädagogischen Fachkräften wichtige Deffizite aus der frühen Kindheit aufholen können und sich besser entwickeln können.
Bindungskompetente Fachpersonen begegnen den auffälligen Kindern nicht so, wie diese es sich gewohnt sind und wie sie es erwarten. Sondern sie begegnen ihnen bindungskompetent und lassen so das Kind sichere Bindungserfahrungen machen. Durch diese neuen Erfahrungen wird sich das innere Arbeitsmodell des Kindes langsam verändern können, und somit auch sein Verhalten. Gleichzeitig bekommt das Kind von der bindungskompetenten Lehrperson ein Verhalten vorgelebt, das es bisher noch nicht kannte und sich nach und nach aneignen kann.
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*Und an dieser Stelle möchte ich betonen, dass es nicht darum geht, einfach "Aufmerksamkeit zu bekommen", wie dies oft etwas abwertend betrachtet wird. Nein, es geht darum GESEHEN zu werden, WAHRGENOMMEN zu werden, ERNST GENOMMEN zu werden!